DIN 1989-100, DIN EN 16941-1, DIN EN 1717, DVGW W 555: Alle technischen Standards für Regenwassernutzungsanlagen verständlich erklärt
Die technische Ausführung von Regenwassernutzungsanlagen wird durch ein ausgefeiltes Normenwerk geregelt, das sich über zwei Jahrzehnte entwickelt hat und 2022/2024 eine grundlegende Neuordnung erfuhr. Mit der Veröffentlichung von DIN 1989-100 im Juli 2022 und der Aktualisierung von DIN EN 16941-1 im Mai 2024 wurde ein konsolidiertes Regelwerk geschaffen, das vier separate Normteile aus den frühen 2000er Jahren ersetzt und das DVGW-Arbeitsblatt W 555 integriert.
Diese Normen sind nicht bloße Empfehlungen, sondern konkretisieren die "allgemein anerkannten Regeln der Technik" (aaRdT), deren Einhaltung die Trinkwasserverordnung rechtlich vorschreibt. Das Bundesverwaltungsgericht hat in mehreren Urteilen bestätigt, dass DIN-Normen und DVGW-Arbeitsblätter als Konkretisierung der aaRdT gelten – ihre Einhaltung ist somit rechtlich erforderlich, auch wenn sie nicht direkt in Gesetzen zitiert sind.
Dieser Ratgeber erklärt die sechs Hauptnormen, ihre Kernpflichten, die Änderungen durch die 2022/2024-Updates und die praktischen Anforderungen für Bauherren und Installateure. Über 1,5 Millionen installierte Systeme in Deutschland zeigen: Normkonformität sichert nicht nur rechtliche Compliance, sondern auch 50+ Jahre zuverlässigen Betrieb.
DIN 1989-100, DIN EN 16941-1, DIN EN 1717, DIN 2403, DVGW W 555, DIN 1986-100
DIN EN 16941-1 (Mai 2024) harmonisiert europäische Standards für Regenwassernutzung
Regenwasser nach DIN EN 1717 – höchste Gefährdungsstufe wegen Mikrobiologie
Luftspalt für freien Auslauf nach DIN EN 1717 zur Systemtrennung
Regenwassernutzungsanlagen unterliegen 6 zentralen technischen Normen, die unterschiedliche Aspekte der Planung, Ausführung und des Betriebs regeln:
| Norm | Gültigkeit | Regelungsbereich |
|---|---|---|
| DIN 1989-100 | Juli 2022 | Hauptnorm für Planung, Bau, Betrieb und Wartung von Regenwassernutzungsanlagen |
| DIN EN 16941-1 | Mai 2024 | Europäischer Standard für Regenwasser- und Grauwassernutzung vor Ort |
| DIN EN 1717 | Aktuell | Trinkwasserschutz: Systemtrennung, freier Auslauf, Sicherungseinrichtungen |
| DIN 2403 | Aktuell | Rohrleitungskennzeichnung (grün/grau für Betriebswasser, blau für Trinkwasser) |
| DVGW W 555 | Ersetzt 2022 | Hygiene, Wartung, Betreiberpflichten (jetzt in DIN 1989-100 integriert) |
| DIN 1986-100 | Aktuell | Entwässerung: Überlauf, Versickerung, Rückstausicherung |
DIN 1989-100 ist die zentrale deutsche Norm für Regenwassernutzungsanlagen und ersetzt die alte Vier-Teile-Struktur (DIN 1989-1 bis -4 von 2002-2005). Die Norm umfasst 50 Seiten in 9 Hauptabschnitten und deckt alle Aspekte von der Planung über den Bau bis zum Betrieb ab.
Die "6-Prozent-Regel" zur Zisternendimensionierung:
Die Norm etabliert 3 Filtertypen mit unterschiedlichen Maschenweiten:
Wichtig: Filter müssen vom Hersteller mit Produktbeschreibung, Funktionsweise, Einbau-, Betriebs- und Wartungsanleitung geliefert werden. Diese Herstellerangaben sind verpflichtend einzuhalten.
DIN EN 1717 "Schutz des Trinkwassers vor Verunreinigungen in Trinkwasser-Installationen" ist die kritischste Norm für Regenwassernutzung, da sie die Trennung zwischen Trinkwasser- und Nichttrinkwassersystem regelt. Verstöße gegen diese Norm führen direkt zu Trinkwasserkontaminationen und sind daher besonders streng sanktioniert.
DIN EN 1717 klassifiziert Regenwasser als Kategorie 5 (höchste Gefährdungsstufe): "Wasser, das eine Gesundheitsgefährdung infolge Anwesenheit von mikrobiologischen oder viralen Krankheitserregern oder anderer hochgiftiger Substanzen darstellt."
Diese Einstufung begründet sich durch Studien (z.B. Hamburger Untersuchung 2024), die in 20-55% der Dachablaufwasserproben fäkale Indikatoren (E. coli, Enterokokken) nachwiesen.
Die Trinkwassernachspeisung in eine Regenwasserzisterne darf ausschließlich über einen freien Auslauf erfolgen. Die Norm definiert drei Bauarten:
Der freie Auslauf muss mindestens 2 cm (DIN-Mindestmaß, praktisch oft 5-10 cm) über dem höchstmöglichen Wasserspiegel der Zisterne enden. Dieser Luftspalt verhindert unter allen Umständen – auch bei Rückstau, Unterdruck im Trinkwassernetz oder Pumpenbetrieb – dass Regenwasser ins Trinkwassernetz zurückfließen kann.
Verboten sind: Direkte Rohrverbindungen zwischen Trinkwasser- und Regenwassersystem, Rückschlagventile ohne freien Auslauf, Tauchpumpen-Nachspeisung ohne Luftspalt. Solche Installationen erfüllen Ordnungswidrigkeiten und führen zu sofortiger Stilllegung durch das Gesundheitsamt.
Die rechtliche Verpflichtung zur Einhaltung von DIN-Normen ergibt sich nicht aus den Normen selbst (die sind privatrechtliche Dokumente), sondern aus ihrer Einstufung als "allgemein anerkannte Regeln der Technik" (aaRdT).
Direkt verpflichtend durch Trinkwasserverordnung:
Indirekt verpflichtend als "aaRdT":
DVGW W 555: Nicht mehr eigenständig, Inhalte wurden in DIN 1989-100 integriert. DVGW-Arbeitsblätter gelten als technische Empfehlungen mit hohem Gewicht, da sie vom Bundesverwaltungsgericht als Konkretisierung der aaRdT anerkannt sind.
Rechtliche Konsequenz: Wer gegen diese Normen verstößt, verstößt gegen die gesetzliche Verpflichtung nach aaRdT zu arbeiten (§ 14 TrinkwV, § 3 AVBWasserV). Dies führt zu Haftung bei Schäden und kann Bußgelder nach sich ziehen.
DIN (Deutsches Institut für Normung):
DVGW (Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches e.V.):
Hierarchie: DIN-Normen haben rechtlich Vorrang, wenn sie dieselben Sachverhalte regeln. DVGW-Arbeitsblätter ergänzen DIN-Normen um praxisnahe Details. Seit 2022 wurden viele DVGW-Inhalte in DIN-Normen integriert (z.B. W 555 → DIN 1989-100).
Für Bauherren: Sie müssen die Normen nicht selbst kaufen. Qualifizierte Installateure haben Zugang zu allen relevanten Normen und setzen diese um. Die Kernpflichten (Systemtrennung, Kennzeichnung, Anmeldung) sind auch in kostenfreien Quellen (Umweltbundesamt, Verbraucherzentrale) dokumentiert.
Nein, in der Regel nicht. Es gibt mehrere Gründe, warum private Bauherren die Normen typischerweise nicht selbst erwerben müssen:
1. Installateur hat Zugang:
Qualifizierte SHK-Innungsbetriebe (Sanitär-Heizung-Klima-Installateure) und Fachfirmen, die in das Installationsverzeichnis des Wasserversorgers eingetragen sind, verfügen über Zugang zu allen relevanten Normen. Sie sind verpflichtet, nach diesen Normen zu planen und zu bauen. Die Kosten für Normenzugang sind in ihrem Stundensatz kalkuliert.
2. Kostenlose Zusammenfassungen verfügbar:
3. Hersteller-Dokumentation:
Filter-, Zisternen- und Pumpenhersteller (Mall, Graf, Rewatec, Intewa) liefern ihre Produkte mit technischen Datenblättern, die die Normkonformität bescheinigen. Diese Unterlagen beschreiben, wie Produkte normkonform installiert werden.
Wann Normenkauf sinnvoll ist:
Tipp: Die wichtigsten Anforderungen (freier Auslauf, Kennzeichnung, 4-Wochen-Anmeldung) sind in diesem Ratgeber vollständig dokumentiert. Für Standardanlagen in Einfamilienhäusern reicht diese Information zusammen mit einem qualifizierten Installateur aus.
Die Veröffentlichung von DIN 1989-100 im Juli 2022 stellte eine grundlegende Neuordnung dar:
Konsolidierung: Die alte DIN 1989 bestand aus 4 Teilen (Teil 1-4, veröffentlicht 2002-2005). Diese wurden vollständig ersetzt durch eine einzige Norm DIN 1989-100, die alle Aspekte von Planung über Bau bis Betrieb abdeckt. Das DVGW-Arbeitsblatt W 555 wurde ebenfalls integriert.
Wichtigste technische Änderungen:
1. Zisternenberechnung präzisiert:
2. Filter-Anforderungen detailliert:
3. Wartungsintervalle standardisiert:
4. Harmonisierung mit DIN EN 16941-1:
Die deutsche Norm wurde mit der europäischen Norm abgestimmt. DIN EN 16941-1 gibt europäische Mindestanforderungen vor, DIN 1989-100 ergänzt diese um deutsche Spezifika (z.B. Trinkwasserverordnung).
5. Speichermaterialien:
Übergangsregelung: Altanlagen nach alten Normen sind weiterhin zulässig, müssen aber bei Renovierung oder Erweiterung an neue Normen angepasst werden.
Nein, das ist rechtlich nicht zulässig und hat gravierende Konsequenzen:
Rechtliche Verpflichtung: Nach § 14 Trinkwasserverordnung und § 3 AVBWasserV müssen Regenwassernutzungsanlagen nach "allgemein anerkannten Regeln der Technik" (aaRdT) errichtet werden. DIN-Normen konkretisieren diese aaRdT. Ein Verstoß gegen die Normen ist somit ein Verstoß gegen gesetzliche Verpflichtungen.
Bußgelder:
Haftung bei Schäden:
Praktische Konsequenzen:
Ausnahme: Theoretisch können Sie von Normen abweichen, wenn Sie nachweisen, dass Ihre Lösung gleichwertige Sicherheit bietet. Dies erfordert aber: ingenieurtechnisches Gutachten, Zustimmung des Gesundheitsamtes, Zustimmung des Wasserversorgers. In der Praxis ist Normkonformität daher der einzige gangbare Weg.
Fazit: Eine normkonforme Anlage kostet typisch 3.000-6.000 € für ein Einfamilienhaus. Die potenziellen Kosten bei Normverstößen (Bußgelder + Haftung + Nachbesserung) können 50.000-500.000 € erreichen. Normkonformität ist daher nicht nur rechtlich geboten, sondern auch wirtschaftlich zwingend.
Alle Normen gültig ab Juli 2022 / Mai 2024 (Stand: Januar 2025)